(openPR) Materie, die sich zugleich wie ein Festkörper und wie eine Supraflüssigkeit verhält, scheint unmöglich zu sein. Dennoch sagten Physiker vor über 50 Jahren voraus, dass die Quantenmechanik einen solchen Zustand zulässt, in dem eine Ansammlung von ununterscheidbaren Teilchen gleichzeitig scheinbar widersprüchliche Eigenschaften aufweisen. „Ähnlich wie Schrödingers Katze, die sowohl lebendig als auch tot ist, ist ein Suprafestkörper sowohl starr als auch flüssig“, erklärt Francesca Ferlaino vom Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck und dem Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Während die kristalline Anordnung, die die „festen“ Eigenschaften eines Suprafestkörpers ausmachen, direkt beobachtet werden können, sind die supraflüssigen Eigenschaften viel schwerer zu fassen. Die Forschung hat verschiedene Aspekte von supraflüssigem Verhalten, wie Phasenkohärenz und lückenlose Goldstone-Moden, bereits untersucht, der direkte Nachweis eines der entscheidenden Merkmale einer Supraflüssigkeit – quantisierte Wirbel – hat bisher aber gefehlt. Nun hat das Team um Francesca Ferlaino diese Quantenwirbel in einem rotierenden zweidimensionalen Suprafestkörper beobachten können, was die lang erwartete Bestätigung für das supraflüssige Strömen in einem zur Rotation angeregten Suprafestkörper liefert und einen entscheidenden Schritt in der Erforschung modulierter Quantenmaterie darstellt.
In der neuen Studie haben die Wissenschaftler theoretische Modelle mit modernsten experimentellen Methoden kombiniert, um Quantenwirbel in dipolaren Suprafestkörpern zu erzeugen und zu beobachten – ein Kunststück, das sich als außerordentlich schwierig erwies. Das Innsbrucker Team hatte bereits 2021 einen Durchbruch erzielt, indem es den ersten langlebigen zweidimensionalen Superfestkörper in einem ultrakalten Gas aus Erbiumatomen erzeugte, was an sich schon eine Herausforderung war. „Der nächste Schritt – die Entwicklung einer Methode, um den Suprafestkörper zu drehen, ohne den fragilen Zustand zu zerstören – erforderte eine noch größere Präzision“, erzählt die Erstautorin der Studie, Eva Casotti. Mit Hilfe hochpräziser Techniken, die sich an der Theorie orientieren, nutzte das Team Magnetfelder, um den Suprafestkörper vorsichtig zu drehen. Dieses Umrühren führte schließlich zur Bildung von Quantenwirbeln, die als hydrodynamischer Fingerabdruck von Suprafluidität gewertet werden können. „Diese Arbeit ist ein wichtiger Schritt zum Verständnis des einzigartigen Verhaltens von Suprafestkörpern und ihrer potenziellen Anwendungen im Bereich der Quantenmaterie“, erklärt Francesca Ferlaino. Die experimentelle Studie dauerte fast ein ganzes Jahr. Dabei wurden wesentliche Unterschiede zwischen der Dynamik von Wirbeln in Suprafestkörpern und in unmodulierten Quantenflüssigkeiten festgestellt und neue Erkenntnisse darüber gewonnen, wie die Eigenschaften von Suprafestkörpern und Festkörpern in diesen exotischen Quantenzuständen koexistieren und interagieren.
Die Bedeutung dieser Entdeckung reicht weit über das Labor hinaus und könnte sich auf Gebiete der Festkörperphysik bis hin zur Astrophysik auswirken, wo ähnliche Quantenphasen unter extremen Bedingungen existieren könnten. „Unsere Ergebnisse öffnen die Tür zur Untersuchung der hydrodynamischen Eigenschaften exotischer Quantensysteme mit mehrfach gebrochener Symmetrie, wie etwa Quantenkristalle und sogar Neutronensterne“, so Thomas Bland, der die Theoriearbeit am Projekt geleitet hat. „Es wird zum Beispiel angenommen, dass die in Neutronensternen beobachteten Änderungen der Rotationsgeschwindigkeit – sogenannte Glitches -– durch supraflüssige Wirbel verursacht werden, die im Inneren von Neutronensternen eingeschlossen sind. Unsere Plattform bietet die Möglichkeit, solche Phänomene direkt hier auf der Erde zu simulieren.“ Supraflüssige Wirbel werden aber auch in Supraleitern vermutet, die elektrischen Strom verlustlos leiten können.
„Unsere Arbeit ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Erforschung neuer Physik“, sagt Francesca Ferlaino. „Wir können hier im Labor physikalische Phänomene beobachten, die in der Natur nur unter sehr extremen Bedingungen vorkommen, wie zum Beispiel in Neutronensternen.“ Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht und vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF, der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG und der Europäischen Union finanziell gefördert.