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Startseite » Köln » HSBI-Absolventin hilft Fraunhofer und Chiesi bei Entwicklung eines Diagnose-Tools für Seltene Krankheiten

HSBI-Absolventin hilft Fraunhofer und Chiesi bei Entwicklung eines Diagnose-Tools für Seltene Krankheiten

8. Juli 2025
in Köln
Reading Time: 5Minuten Lesezeit
HSBI-Absolventin hilft Fraunhofer und Chiesi bei Entwicklung eines Diagnose-Tools für Seltene Krankheiten
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(openPR) Jede einzelne trifft nur wenige Menschen, die aber umso härter: Sogenannte Seltene Krankheiten sind oft lebensbedrohlich oder mit massiven chronischen Einschränkungen verbunden. „An manchen leiden nur zwei Dutzend Menschen, an anderen ein paar tausend. Aber insgesamt leben in Deutschland etwa vier Millionen Menschen mit einer Seltenen Krankheit“, beschreibt Chiara Freitag die Dimensionen des Phänomens. Mehr als 6.000 Seltene Krankheiten gibt es weltweit. „Kein Arzt, keine Ärztin kann die alle kennen. Deshalb dauert es oft so lange, bis sie richtig diagnostiziert werden.“ Freitag will das ändern – als Mathematikerin: In ihrer Bachelorarbeit zeigt sie einen Weg auf, wie Betroffene schneller eine Diagnose und damit die richtige Behandlung erhalten können.

Bachelor-Arbeit am Fraunhofer Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik (ITWM) in Kaiserslautern

Schon in der Schule hatte Chiara Freitag ein Faible für Mathe. Aber studieren? Die 22-Jährige winkt ab: „Das konnte ich mir erst gar nicht vorstellen. Zu abgehoben, zu weit weg vom Leben.“ Dachte sie. Dann entdeckte ihre jüngere Schwester den Bachelorstudiengang Angewandte Mathematik an der Hochschule Bielefeld (HSBI). Freitag informierte sich und wusste schnell: „Das ist es – Mathe, aber nicht so abstrakt wie an der Uni, sondern mit direktem Bezug zur Realität.“ In sieben Semestern lernen die Studierenden, wie sich mit mathematischen Methoden reale Fragestellungen in verschiedenen Bereichen lösen lassen – in Naturwissenschaften und Technik ebenso wie in Wirtschaft, Informatik oder Medizin. „Uns geht es um die praktische Anwendung von Mathematik“, bestätigt Prof. Dr. Jörg Horst, zuständig für das Lehrgebiet Mathematik und technische Systeme am Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik. „Deshalb gibt es im Studiengang auch eine obligatorische Praxisphase.“

Nach den ersten Semestern hatte Chiara Freitag bereits genaue Vorstellungen über die Phase: „Ich wollte mich im Master gerne auf Biomathematik spezialisieren und habe deshalb nach einem Praktikum in dem Bereich gesucht.“ Und es beim Fraunhofer Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik (ITWM) in Kaiserslautern gefunden. Dort wurde gerade in Zusammenarbeit mit dem Pharmaunternehmen Chiesi ein Projekt vorbereitet zur Entwicklung eines Online-Unterstützungstools für die Diagnose Seltener Krankheiten. „Das Tool soll nach Eingabe einer Reihe von Symptomen die Wahrscheinlichkeiten für das Vorliegen aller möglichen Seltenen Krankheiten berechnen“, erläutert Chiara Freitag.

Also so ähnlich wie die Anfrage bei einer Suchmaschine? Dr. Jan Hauth vom Fraunhofer-ITWM muss schmunzeln: „Haben Sie schon einmal nach Symptomen einer Krankheit gegoogelt? Da kommen Berge von irrelevanten und nur halb-seriösen Ergebnissen zu Stande. Unser Tool dagegen ist hochspezialisiert. Es liefert Ergebnisse auf Basis einer genau durchdachten mathematischen Modellierung und ist durch die Expertise unseres Projektpartners Chiesi auch medizinisch absolut fundiert und abgesichert.“ Dabei betont der Spezialist für Modellierung und Identifikation komplexer stochastischer Systeme allerdings: „Wir ersetzen die ärztliche Diagnose nicht, sondern unterstützen bei der Diagnose. Das Tool weist auf wahrscheinliche Krankheiten hin und hilft bei der Eingrenzung. Hat man erst einmal einen konkreten Verdacht, lässt sich eine bestimmte Krankheit etwa über einen gezielten Gentest leicht nachweisen.“

Chiara Freitag stieg als Praktikantin in das Projekt ein – und blieb für ihre Bachelorarbeit

dabei. Vor der Mathematik stand aber zunächst die Medizin. Die Studentin arbeitete sich in die Symptomatiken Seltener Krankheiten ein, genauer: in die einer kleinen Gruppe unterschiedlicher Stoffwechselkrankheiten. „Wir mussten die Anzahl begrenzen, um die Aufgabe handhabbar zu machen. Sonst säße ich immer noch an den Symptomen.“ Chiara Freitag lacht und öffnet eine Tabelle auf ihrem Laptop. „Zu jeder Krankheit sind hier nicht nur die möglichen Symptome erfasst, sondern auch die Häufigkeit, die Intensität und das Eintrittsalter dieser Symptome.“ Die Wahrscheinlichkeit eines Symptoms bei einer bestimmten Krankheit lässt sich also einfach angeben. „In unserem Fall ist es aber umgekehrt. Wir wollen die Wahrscheinlichkeit einer Krankheit bei bestimmten Symptomen feststellen“, erklärt Freitag. Heißt: Das Tool soll aus Patientensicht arbeiten, also aus Patientenangaben die Wahrscheinlichkeit für eine Krankheit berechnen. Die Herausforderung dabei: „Die Angaben sind oft unvollständig. Manche Patient:innen haben nicht sämtliche Symptome oder wissen von anderen noch gar nicht, weil sie nur durch spezielle Untersuchungen erkannt werden können.“ Das eingesetzte mathematische, genauer gesagt, stochastische Modell muss also aktuelle Informationen integrieren können wie die Angaben der Patient:innen, mit Unsicherheiten umgehen können, wie unvollständigen Angaben, und mit dem passenden Algorithmus schließlich möglichst sichere Aussagen über wahrscheinliche Krankheiten treffen. Zudem müssen Modell und Algorithmus Vorwissen abbilden können, so die bekannten Wahrscheinlichkeiten von spezifischen Symptomen bestimmter Krankheiten.

Bayes-Statistik und Monte-Carlo-Algorithmen: Methoden stehen bereit, man muss sie nur nutzen

Ein Fall für die Bayes-Statistik. „Dieser mathematische Ansatz ist auch Grundlage vieler Anwendungen Künstlicher Intelligenz“, ordnet Jörg Horst ein. Der Professor hat Chiara Freitags Bachelorarbeit betreut und nennt weitere Vorteile des Modells: „Es kann problemlos um eine Vielzahl weiterer Seltener Krankheiten erweitert werden, indem sie mit ihren Symptomatiken eingepflegt werden. Zudem lässt es sich anpassen und verfeinern, wenn im Laufe einer Diagnose weitere Daten gewonnen werden können. So wird die diagnostische Aussagekraft erhöht.“

Um dies zu erreichen hat Freitag ihr Bayesianisches Modell mit sogenannten Monte-Carlo-Algorithmen kombiniert. „Diese Algorithmen sind vor allem bei komplexen Wahrscheinlichkeitsverteilungen wie im Fall der Seltenen Krankheiten hilfreich. Denn sie ermöglichen es, unbekannte Modellparameter aus vorhandenen Daten zu schätzen,“ erläutert Jan Hauth, der die Bachelorarbeit mitbetreut hat. Dabei werden Zufallszahlen erzeugt, die dieser komplexen Wahrscheinlichkeitsverteilung entsprechen, und mit den realen Daten abgeglichen. „Wiederholt man diese Simulation oft genug, kann das Modell immer besser angepasst werden und immer bessere Schätzwerte für die unbekannten Modellparameter liefern.“ Anders ausgedrückt: Das Modell lernt, die eingegebenen neuen Patientenangaben immer besser mit den vorhandenen Modelldaten zu kombinieren und die Wahrscheinlichkeit für eine mögliche Seltene Krankheit immer genauer zu schätzen.

Das Pharmaunternehmen Chiesi hat bereits den Auftrag für das Diagnose-Tool ans Fraunhofer ITWM erteilt

Jörg Horst überzeugt nicht nur das Ergebnis von Chiara Freitags Bachelorarbeit. „Für uns ist es großartig, wenn Studierende reale Fragestellungen aus der Praxis bearbeiten können, im Praktikum wie in der Abschlussarbeit. Dadurch lernt man am besten, wie theoretisches Rüstzeug in der Praxis zur Anwendung gebracht werden kann.“ Auch Jan Hauth sieht die Betreuung von Studierenden im Allgemeinen und von Chiara Freitag im Besonderen als Gewinn: „Mit ihr konnten wir für das anvisierte Projekt schon erste Lösungsansätze entwickeln und testen und unser Angebot so konkretisieren.“ Mit Erfolg: Das Pharmaunternehmen Chiesi hat den Auftrag erteilt und mittlerweile schon die zweite Phase des Projekts gestartet. „Chiara Freitags Arbeit ist tatsächlich ein substanzieller Schritt zur Verwirklichung eines Diagnose-Tools, das vielen Menschen schneller Hilfe bringen kann“, unterstreicht Hauth.

Die HSBI-Absolventin selbst ist längst überzeugt vom Mathe-Studium. Inzwischen studiert sie im Masterstudiengang „Applied Mathematics“ mit dem Schwerpunkt Biomathematik an der Hochschule Koblenz, gleichzeitig arbeitet sie am Fraunhofer ITWM weiter im Projekt. „Es ist toll zu sehen, wie die eigene Arbeit ganz konkrete Formen annimmt und zu einer realen, sinnvollen Anwendung wird.“

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