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Startseite » Duisburg » Wenn Anreizsysteme den Charakter verändern

Wenn Anreizsysteme den Charakter verändern

3. September 2025
in Duisburg
Reading Time: 3Minuten Lesezeit
Wenn Anreizsysteme den Charakter verändern
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(openPR) Viele Unternehmen versuchen, mit Anreizsystemen die Leistungsbereitschaft und die Effektivität ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erhöhen. Oft gleichen diese Systeme einem Wettbewerb: Wer zum Beispiel am Ende eines Monats die höchsten Verkaufszahlen vorweisen kann, bekommt eine Prämie.

Derartige Wettbewerbe können durchaus die Produktivität steigern. Aber sie haben auch Schattenseiten: Aus wissenschaftlichen Studien ist bekannt, dass sie zum Beispiel die Zusammenarbeit zwischen Kolleginnen und Kollegen kurzfristig verschlechtern.

Was aber passiert auf Dauer mit Menschen, die über längere Zeit einem solchen Konkurrenzdruck ausgesetzt sind? Gewöhnen sie sich an den Konkurrenzdruck oder verändert er sogar ihre Persönlichkeit?

Genau diese Fragen hat ein Team um Professor Fabian Kosse von der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg nun erstmals erforscht: „Wir haben an Schulen untersucht, wie eine länger andauernde Konkurrenzsituation das prosoziale Verhalten von Jugendlichen beeinflusst, also ihre Hilfsbereitschaft und ihr gegenseitiges Vertrauen “, sagt Kosse, der den JMU-Lehrstuhl für Data Science in Business and Economics leitet.

Das Ergebnis der Studie stimmt nachdenklich: Zwei Jahre intensiver Konkurrenz senken deutlich die Hilfsbereitschaft und das Vertrauen unter Jugendlichen. Und das nicht nur kurzfristig – selbst vier Jahre nach Ende des Wettbewerbs sind die Effekte noch da. „Der dauerhafte Wettbewerb verändert also nicht nur das situative Verhalten. Er beeinflusst auch die Persönlichkeitsentwicklung“, so Kosse.

Die Studie entstand in Zusammenarbeit mit Ranjita Rajan von der Karta-Initiative (Oxford) und Michela Tincani vom University College London. Veröffentlicht ist sie im renommierten Journal of the European Economic Association.

Die Forschenden haben eine groß angelegte Feldstudie an Schulen in Chile durchgeführt. Dort sind die Menge und Qualität der verfügbaren Bildungsdaten sehr gut, wie Fabian Kosse sagt.

Für die Untersuchung nutzten die Wissenschaftler ein von der chilenischen Regierung eingeführtes Programm (PACE). Es wurde an ausgewählten High Schools umgesetzt, um mehr junge Menschen aus sozial benachteiligten Familien an die Universitäten zu bringen.

Das Programm garantiert den jeweils besten 15 Prozent der Schülerinnen und Schüler innerhalb einer Schule einen Studienplatz. Wer zu dieser Gruppe gehört, muss die ansonsten vorgeschriebene zentrale Aufnahmeprüfung für Universitäten nicht mehr machen. Für Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien ist dies sehr bedeutsam, da nur sehr wenige von ihnen über das reguläre, zentrale Zulassungssystem den Sprung an die Universität schaffen.

Der Anreiz, unter die besten 15 Prozent zu kommen, ist also groß. Groß ist aber auch die lang andauernde Konkurrenz, die das Programm in den Schulen entfacht: Es handelt sich um einen über zwei Jahre laufenden Wettbewerb, denn wer zu den Besten gehört, entscheidet sich nicht in einer einzigen Abschlussprüfung, sondern aus allen Leistungen über die letzten Schuljahre hinweg.

Vor diesem Hintergrund wurde das Forschungsteam an 64 PACE-Schulen aktiv sowie an 64 Kontrollschulen, an denen es das PACE-Programm nicht gibt. Insgesamt waren mehr als 5.000 Schülerinnen und Schüler einbezogen. Entscheidend für die Aussagekraft der Ergebnisse: Per Zufallsprinzip wurde festgelegt, welche Schulen am PACE-Programm teilnahmen und welche als Vergleichsschulen dienten– es handelte sich also um ein echtes Experiment mit Behandlungs- und Kontrollgruppen.

Die Forschenden werteten für ihre Studie zum einen Daten der chilenischen Regierung aus, die zur Evaluierung des PACE-Programms erhoben werden. Zum anderen führten sie selbstentwickelte, ausführliche Befragungen von Schülerinnen, Schülern, Lehrkräften und Leitungspersonal durch.

Die Fragen betrafen einerseits die Schulatmosphäre und lauteten zum Beispiel „Wie sehr stimmen Sie folgender Aussage zu: Es herrscht großer Wettbewerb um die besten Noten in meiner Klasse.“ Vor allem drehten sich die Fragen um das prosoziale Verhalten wie Altruismus, Reziprozität und Vertrauen („Wie sehr sind Sie bereit, anderen zu helfen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten?“).

Das Team schlägt in seiner Publikation Maßnahmen vor, mit denen sich die negativen Folgen von PACE und vergleichbaren wettbewerbsbasierten Anreizsystemen für die Prosozialität womöglich vermeiden oder verringern lassen.

Die Regeln des Wettbewerbs verändern: Es könnte helfen, die Rangfolge der Besten nicht innerhalb einer bestimmten Schule zu ermitteln, sondern innerhalb der Gruppe aller sozial benachteiligten Schülerinnen und Schüler einer bestimmten Landesregion. In einem solchen System wäre der schulinterne Konkurrenzdruck geringer.

Kooperation statt Konkurrenz schaffen: Läuft der Wettbewerb schulübergreifend ab, kann das daraus resultierende Mindset „Wir zusammen gegen die anderen Schulen“ die Zusammenarbeit und Atmosphäre verbessern und die Prosozialität sogar steigern.

wissenschaftliche Ansprechpartner: Prof. Dr. Fabian Kosse, Universität Würzburg,

Originalpublikation: The persistent effect of competition on prosociality. Fabian Kosse, Ranjita Rajan, and Michela Tincani, Journal of the European Economic Association, DOI: 10.1093/jeea/jvaf030

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